Die offene Kulturkneipe startet russisch rockig
Von Barbara Barth
Oberstenfeld Hereinspaziert. Die Offene
Kulturkneipe im Oberstenfelder Stiftskeller sperrt am Samstag, 29. September,
erstmals ihre Pforten auf. Damit will der Kulturverein Oberes Bottwartal ein
neues Terrain betreten. Klassik, Kabarett und Kleinkunst finden seit 25 Jahren
ihr Publikum, jetzt sollen weitere Musikrichtungen ausprobiert werden: Kommt
auch Rock, Blues, Pop oder Boogie an?
Geschmack Das will Monika Streicher
jetzt herausfinden. Die zweite Vorsitzende des Kulturvereins hatte die Idee zu
dem Projekt Offene Kulturkneipe. Hintergrund ist, dass neue und jüngere
Mitglieder angesprochen werden sollen. Denn helfende Hände fehlen an allen
Ecken und Enden. Die Veranstaltungen des Kulturvereins in Beilstein und
Oberstenfeld vorzubereiten und zu organisieren, bringt die meisten älteren
Mitglieder oft an ihre Grenzen.
Wenn sich durch das
neue Angebot jetzt vielleicht Menschen unter 50 Jahren dem Verein anschließen,
denkt Monika Streicher, dann wäre das eine willkommene Verjüngung.
Das Besondere an
der neuen Reihe: Sie kostet keinen Eintritt, spontanes Erscheinen ohne Karte
ist also möglich. Nach Schluss der Veranstaltung geht ein Kulturkorb herum. Die
Besucher geben, was ihnen das Konzert wert war. Den Inhalt erhalten die
Künstler.
"Es gibt viele
gute Gruppen und Solisten, die noch relativ unbekannt sind", hat Streicher
festgestellt. Die Offene Kulturkneipe schafft ihnen eine Möglichkeit zum
Auftritt.
Die erste Gruppe am
kommenden Samstag nennt sich Archipel Gulag nach Alexander Solschenizyns Roman
über das stalinistische Unrechtssystem. Der Sänger der vierköpfigen Band stammt
aus Sibirien. Sergei German (42) singt die eigenen Texte in Russisch, die Musik
komponiert er mit dem Gitarristen Thomas Güntter (47). Beide machen seit 2005
gemeinsam Musik. Schlagzeuger Peter Müller (46) und der Bassist Bernd Derdau
(51) komplettieren das Quartett.
Verbundenheit Bis auf Derdau, der Profi
ist, haben die in Remseck, Marbach und Beilstein lebenden Musiker einen
bodenständigen Beruf, sind Familienväter, und dem "klassischen Rock der
80er Jahre" verbunden, so Thomas Güntter. "Allerdings ist er
angereichert mit slawischer Schwermut, moll-betont", beschreibt German die
Richtung. Dass er in seiner Muttersprache singt, empfindet er nicht als
Problem. "Die Texte der meisten Songs in Englisch, Französisch oder
Portugiesisch verstehen die Leute auch nicht." Als semi-professionell
bezeichnet sich Archipel Gulag. "Wir haben einen großen Probenraum, ein
riesiges Equipment und sehr viel Spaß", so Peter Müller. In Oberstenfeld
werden sie Stücke ihrer ersten CD spielen. Ein zweiter Block soll akustisch
sein, ein dritter "je nach dem, wie das Publikum reagiert". Hendrik
van Gent will "immer wieder Neues präsentieren und damit hoffentlich
positiv überraschen".
Es gibt mindestens
zwei Pausen, in denen die Zuhörer miteinander und den Musikern ins Gespräch
kommen können. "Musik hören, reden, essen und trinken - die tolle
Atmosphäre im Stiftskeller ist prädestiniert dafür", findet Monika
Schreiber. Das Speisenangebot soll deshalb aus mehr als einer Butterbrezel
bestehen, und bei den Getränken ist der Verein auf ein jüngeres Publikum
eingestellt.
Die offene Kulturkneipe startet russisch rockig
Von Mareike Burkhardt
Oberstenfeld
Dem Kulturverein
Oberes Bottwartal geht es wie vielen anderen Vereinen auch: Der Nachwuchs
fehlt. Die meisten der Mitglieder haben die 0 schon hinter sich gelassen und auch
die Besucher der bisherigen Veranstaltungen des Vereins - vor allem Klassik und
Kabarett - sind eher im reifen Altern.
"Die Jungen
fehlen und es rückt auch niemand nach!" bemängelt die zweite Vorsitzende
des Kulturvereins, Monika Steicher, den derzeitigen Altersdurchschnitt in und
um den Verein. Das Projekt "Offene Kulturkneipe" (Okuk), das am
Samstag im Oberstenfelder Stiftskeller aus der Taufe gehoben wurde, soll nun
Abhilfe schaffen.
Zur Okuk kamen rund
70 Besucher in den urigen Stiftskeller nach Oberstenfeld. Geboten wurde ihnen
dort eher Ungewöhnliches: russischer Rock mit der Band Archipel Gulag. Sänger
Sergei German ist in Sibirien aufgewachsen und singt seine Songs in der Sprache
seiner Kindheit. Vor jedem Lied gab er deshalb eine kurze Zusammenfassung des
Inhalts. Und das war meist keine leichte Kost: Sergei sang vom Drogentod und
dem Leben auf der Müllkippe.
Der Stimmung im
Stiftskeller tat die "slawische Schwermut" aber keinen Abbruch.
Mitsingen war in diesem Fall zwar nicht möglich, dafür aber Mitwippen und auch
ein bisschen Mitrocken. Zum Konzept gehört auch, dass Band oder Solointerpreten
nicht gleich in der Garderobe verschwinden. Das Publikum soll die Möglichkeit
haben, mit ihnen in Kontakt zu treten. Und auch die Band ihrerseits soll ein
bisschen Werbung für den Kulturverein machen, erklärte Monika Streicher die
Pausen zwischen den einzelnen Auftritten.
Eintritt zahlen
muss übrigens keiner, der die offene Kulturkneipe besucht. Am Ende eines jeden
Konzerts geht der Kulturkorb herum, dessen Inhalt den Künstlern als Gage dient.
Die Idee zum Projekt "Okuk" stammt von Monika Streicher, die
"was Neues probieren" und mit Kneipenathmo, Rock, Pop, Blues und
Weltmusik ein Publikum erreichen will, das die 50 noch nicht erreicht hat.
Das ist ihr bereits
am ersten Abend gelungen. Um halb acht habe sie zwar noch ein wenig
Bauchschmerzen gehabt, ob sich der Keller füllt, aber eine Stunde später war
alles wieder gut: Denn da war der Stiftskeller richtig voll. Weitere fünf
Termine stehen bereits fest. Zwei in diesem Jahr und drei im nächsten.
"Nach den sechs Veranstaltungen ist dann erst mal Schluss", so Monika
Streicher. In der Sommerpause wollen die Verantwortlichen überlegen, wie es
weitergeht.
Oberstenfeld Offene Kulturkneipe feiert
gelungene Premiere im Stiftskeller
Von Barbara Barth
Die Anspannung ist
bei den Verantwortlichen des Kulturvereins Oberes Bottwartal zu spüren: Werden
Leute kommen? Wird die Premiere der Offenen Kulturkneipe gelingen? Monika
Streicher, Martin Hinze und Hendrik van Gent haben mit Helfern den Stiftskeller
in einen atmosphärischen Treff verwandelt. Rote und weiße Seidenpapierlampions
hängen von der Decke, Kerzen stehen auf dem Tisch, die Küche ist bereit. Nun
müssen nur noch die Gäste kommen.
Sie kommen. Etwa 80
Leute wollen russischen Rock mit der Band Archipel Gulag hören. Das Gewölbe ist
gut gefüllt. Keiner weiß, was ihn erwartet, denn diese Art Musik ist im
Bottwartal nicht gängige Praxis.
Zaghaft Wer sitzen will kann sitzen. Wer
stehen will, steht. "Are
you ready for Rock 'n' Roll?", ruft Sänger Sergei German ins
Publikum. Das "Yeah"
kommt noch etwas zaghaft zurück, aber die vier legen los. - die russischen
Texte erzählen von Kriegswirren und Drogenabhängigkeit, vom Tod und vom Leben
am Rande der Gesellschaft. Musikalisch sind die Stücke oft ähnlich, die meisten
stammen noch aus der Studentenzeit des heute 42-jährigen German in Sibirien.
Aber es gibt auch rhythmisch Interessantes mit überraschenden Taktwechseln.
Zuhörer Bill Bergelt, selbst Musiker, erkennt "ungewöhnliche, geshuffelte
Riffs".
Richtig Stimmung
kommt auf, als das Quartett einen Ohrwurm spielt. Hände klatschen, Füße wippen
bei "Those were the days
my friend". Dass der Mary-Hopkin-Hit aus dem Jahre 1968 auf einem
russischen Volkslied von 1917 basiert, erfahren die meisten erst an diesem
Abend. Viele Coverversionen des melancholischen Chartstürmers sind entstanden,
unter anderem von Alexandra, Dalida und den Leningrad Cowboys. Nach einer
ersten Pause wird's kuschelig. Da rücken die Musiker und die Zuhörer eng
zusammen, denn Sergei German, Bernd Derdau, Peter Müller und Thomas Güntter
können auch akustisch spielen, fast ohne Verstärker. "Kalinka" macht
sich da mit ihrem sehnsuchtsvollen Gitarrensound besonders gut.
Später, im dritten
Teil des Konzerts, werden sie das Volkslied noch einmal in einer verrockten
Version spielen. Auch das russische Liebeslied "Katjuscha" nehmen sie
sich vor. Immer, wenn bekannte Melodien ertönen, rockt der Keller. "Wollen
wir noch was hören?" "Dawei, dawei."
Ein Arbeitskollege
von German in einer Firma für Metallverarbeitung findet die Musik "einfach
klasse". Eugen Weber hat sie schon auf verschiedenen Konzerten erlebt und
hört "das Blech" heraus. "Das ist der Sound seiner Arbeit."
Im dritten Teil
glänzt Bernd Derdau mit harten Bass-Improvisationen. Der einzige Berufsmusiker
des Quartetts ist an Musikschulen und der VHS Weinsberg Dozent für Gitarre,
Bass und Keyboard.
Gespannt Das Publikum ist zufrieden,
kaum einer verlässt den Keller während des Konzerts, obwohl Monika Streicher zu
Beginn des Abends Kommen und Gehen in einer Kneipe als normal bezeichnet hat.
Die stellvertretende Kulturvereins-Vorsitzende hat neue Gesichter gesehen. Auch
aus Auenstein ist ein Ehepaar da, das schon vor zwei Jahren den ersten Versuch
des Vereins mit Rockmusik miterlebt hat. Damals hat ihnen das Duo Bodo Schopf
und Werner Dannemann so gut gefallen, dass sie beim neuerlichen Anlauf auf
jeden Fall dabei sein wollten.
An der Bar, auf den
Bänken entlang der Steinwände und an den Bistrotischen wird diskutiert. Die
Offene Kulturkneipe findet allgemeine Zustimmung. Ob sich die auch in
Mitgliederzahlen niederschlägt, wird sich zeigen. Monika Streicher findet es
auf jeden Fall einen Versuch wert, auch jüngere Mitmacher für den Verein zu
aktivieren.
Hintergrund
Ohne Eintritt
Prinzip der Offenen
Kulturkneipe ist es, keinen Eintritt zu verlangen. Damit die Künstler nicht
gänzlich leer ausgehen, geht am Ende der Vorstellung ein Kulturkorb herum. In
den engen Schlitz stecken die Leute, was ihnen der Auftritt wert war. "Es
reicht vom Zwei-Euro-Stück bis zum Zehn-Euro-Schein", hat Martin Hinze
beobachtet. Aber auch solche Kommentare hat er gehört: "Ich hab kein
Geld". Oder: "Wenn ich jetzt etwas hineinstecke, spielen die dann
noch weiter?" bab
Archipel Gulag eröffnen
die Reihe
"Offene Kulturkneipe" des Kulturvereins.
Von Christian Kempf "Marbacher zeitung"
Ein jüngeres
Publikum ansprechen, den einen oder anderen Mitstreiter gewinnen und testen,
wie Rock, Blues und Weltmusik im Bottwartal ankommen: All das möchte der
Kulturverein Oberes Bottwartal mit der "Offenen Kulturkneipe"
erreichen. Die neue Veranstaltungsreihe geht im Oberstenfelder Stiftskeller
über die Bühne. Der Eintritt ist frei, und die jeweiligen Künstler nehmen sich
immer wieder Zeit, um in einen Dialog mit dem Publikum zu treten. Zum Auftakt
am Samstag, 29. September, gastiert die Band Archipel Gulag in Oberstenfeld.
Eine Gruppe, deren Mitglieder eine ganze Menge zu erzählen haben. Und die Musik
ist auch nicht von der Stange.
Das Besondere an
der Combo ist, dass sie auf russische Texte setzt. Zudem prägen slawische
Einflüsse unverkennbar den Sound. Dazu durchweht die Songs eine gewisse
Melancholie - die man ja auch der russischen Seele nachsagt. Das ist allerdings
keine billige Masche, um sich aus der Masse abzuheben, sondern hängt vor allem
mit dem Frontman des Quartetts zusammen. Der heißt Sergei German und stammt
ursprünglich aus Sibirien. 1999 siedelte er mit seiner Frau nach Deutschland
über. In Marbach fand er ein Zuhause. Hier lebt der 42-jährige bis heute.
Wer den
Schillerstädter in fließendem Deutsch parlieren hört, mag kaum glauben, dass er
die Sprache erst vor 13 Jahren gelernt hat. Singen will er trotzdem weiter auf
Russisch. Das ist die Sprache, in der er seine Gedanken am besten formulieren
kann. "Meine Teste sind anspruchsvoll und sollen zum Nachdenken anregen.
Ich verlange viel von ihnen", sagt Sergei German. Allerdings kommen der
schwarze Humor und Ausflüge ins Skurrile auch nicht zu kurz. In
"Beard" beschreibt er beispielsweise eine romantische Szene, die sich
mehr und mehr ins Gegenteilt verkehrt. Ein Liebhaber registriert erst im Laufe
eines intensiven Techtelmechtels, dass seine Angebetete über einen höchst
vitalen Haarwuchs verfügt - und zwar nicht nur auf dem Kopf.
Solche und ähnliche
Geschichten bringt für Archipel Gulag allesamt Sergei German zu Papier. Beim
Komponieren der Songs wechselt er sich hingegen mit dem Remsecker Gitarristen
Thomas Güntter ab. Das Arrangieren der Stücke ist dann ein Gemeinschaftswerk,
zu dem der Remsecker Drummer Peter Müller und der Beilsteiner Bassist Bernd
Derdau auch einen gewichtigen Teil beitragen.
Bemerkenswert ist,
dass sich Archipel Gulag kaum in eine der üblichen musikalischen Schubladen
stecken lassen. "Klassische 80er-Jahre Rockmusik mit slawischem Einschlag
und russischem Gesang" treffe es wohl am ehesten, sagt Thomas Güntter, der
sein Geld als Leitender Angestellter in der Bauindustrie verdient. Von der
theoretischen Seite sattelt der Profimusiker Bernd Derdau das Pferd auf.
"Unsere Stücke sind sehr molllastig und haben verschachtelte
Akkordstrukturen", erklärt der 54-jährige Beilsteiner. Zum Markenzeichen
von Archipel Gulag gehört zudem, dass Bernd Derdau mit seinen Bassläufen eine
vergleichsweise exponierte Stellung im Soundgefüge einnimmt. "In anderen
Gruppen ist der Bass nur dazu da, die tiefen Töne zu spielen", sagt Thomas
Güntter. Derweil verweist Sergei German auf die Russischen Formationen Alisa
und DDT, die vergleichbare Musik machen.
So richtig
durchgestartet sind Archipel Gulag mit dem Einstieg von Bernd Derdau vor drei
Jahren. Zuvor bastelten Sergei German und Thomas Güntter eher im Verborgenen an
Songs. Dann machte irgendwann Peter Müller den Drumcomputer überflüssig - ehe
Derdau die Formation komplettierte. Seither trat das Quartett unter anderem im
Red River Saloon in Heilbronn und beim Gipfel der Kultur in Bad Liebenzell auf.
Der nun anstehende Gig in Oberstenfeld ist in gewisser Weise Chris von Gent zu
verdanken, die das Cover der ersten CD designte. Über sie kam der Kontakt zum
Kulturverein Oberes Bottwartal zustande. Dort ist nämlich ihr Vater Henk van
Gent aktiv.
Möglicherweise
werden Archipel Gulag bei dem Konzert auch den einen oder anderen
traditionellen russischen Folksong in neuem Gewand präsentieren. "Das
kommt bei den Leuten immer sehr gut an", sagt Thomas Güntter - und könnte
auch eine Vorschau auf das sein, was die Band als nächstes plant. Die Jungs
überlegen sich, eine EP mit solchen Traditionals zu veröffentlichen.
"Natürlich mit modernisierten Texten", betont Sergei German. Denn von
der Stange ist nichts bei dieser Gruppe.
Russischer Rock aus dem Bottwartal
Großbottwar Die Band Archipel Gulag
präsentiert ihre erste CD
von Phillip Weingand "Marbacher Zeitung"
Die Mischung klingt
außergewöhnlich: klassischer Rock im Stil der 80er Jahre mit russischem
Einfluss. Die Band Archipel Gulag wagt es seit 2009, diese Stilrichtungen zu
kombinieren. Der russische Baritongesang von Sänger Sergei German, der mit
seinem Keyboard einen Klangteppich legt, mischt sich mit den Riffs und Soli von
Gitarrist Thomas Güntter. Derweil sorgen Bassist Bernd Derdau und Schlagzeuger
Peter Müller für ein treibendes Fundament.
Die vier Musiker
aus Marbach, Remseck und Beilstein haben am Samstag ihre erste CD mit dem Titel
"Back to Nowokusnezk" vorgestellt. Bei der Release-Party in dem auch von
der Musikschule Staudenmaier genutzten Probenraum in Großbottwar durften
russische Verpflegung (Pirogi, Wodka und Krimsekt) ebenso wenig fehlen wie eine
Diashow mit Foto- und Videoimpressionen aus Nowokusnezk. In der Stadt im
Südwesten Sibiriens hat Sänger German seine Wurzeln, im Alter von 30 Jahren ist
er mit seiner Frau nach Deutschland gekommen. Die Band spielt seit 2009 in der
aktuellen Besetzung. Haupteinfluss sind laut German russische Bands aus den
achtziger Jahren. "Bands wie DDT, Alisa oder Nautilus - russische
Rockgeschichte eben", sagt er.
Der Bandname
Archipel Gulag lehnt sich an das Hauptwerk des russischen Autoren Alexander
Solschenizyn an. In seinem Buch beschäftigt sich dieser mit den berüchtigten
stalinistischen Gefangenenlagern. Dass die Texte von Sänger Sergei German
ebenfalls keine leichte Kost sind, dürfte damit klar sein. Es geht um Leben im
Industriestaat oder im Untergrund, um Drogen und die Apokalypse. "Ich bin
richtig begeistert von Horrorgeschichten", sagt German. Ein Song ist
außerdem seinem guten Freund gewidmet, der damals in Germans Band in Sibirien
Bass gespielt hat und mit 37 Jahren verstorben ist. Trotz abgründiger Themen
hatten das Quartett und das Publikum am Samstag sichtlich Spaß. Denn die
Musiker sind sich einig. Mit schlechter Laune kann man keine Musik machen.
"Am meisten Spaß macht mir das Arrangieren von eigenen Stücken", sagt
Peter Müller. "Ich könnte nie in einer reinen Coverband spielen."
Coverversionen gab
es beim Liveset dennoch - aber natürlich im ganz Band-eigenen Sound. So gab es
nicht nur eine Rockversion von "Kalinka" zu hören, bei der Gitarrist
Thomas Güntter seine Gibson zur Balalaika umfunktionierte, sondern auch die
Erkenntnis, dass das Lied, das die meisten Menschen als "Those were the
days" kennen, ursprünglich ein russisches Volkslied mit dem Titel
"Dorogoy? dlinnoyu" ist. Auch dieses ist als Rocksong auf "Back
to Nowokusnezk" zu hören. Die CD ist unter anderem auf amazon.de
erhältlich. Vorerst sind 1000 Stück gepresst worden. "Wir haben auch CDs an
Radiostationen und Plattenfirmen geschickt" erzählt Bassist Bernd Derdau.
Russenrock made in Remseck
"Back to Nowokusnezk": Die
Band Archipel Gulag stellt ihre erste CD vor.
Von Leonore Welzin für "Heilbronner Stimme"
Großbottwar "Mainstream war noch
nie meine Sache", sagt Bernd Derdau mit Verweis auf seine musikalischen Anfänge
in Bands wie der Heilbronner Kultband Madison Bleed oder der Stuttgarter J.
Boss Band. Für den Beilsteiner sind die Zeiten des Rock keine Vergangenheit. Im
Gegenteil: Der Musiker, der seit 13 Jahren mit seiner Mobilen Disco unterwegs
ist, tourt als Bassist und Keyboarder in unterschiedlichen Formationen
(Hanselmann-Spacek-Group, Fett Zeppelin).
Seit wenigen Jahren
ist Derdau Teil eines neuen Projekts: deutsch-russischer Rock des Trios Sergei
German (Gesang, Keyboard), Thomas Güntter (Gitarre) und Peter Müller
(Schlagzeug) aus Remseck, das Derdau nicht nur mit seinem Bass, sondern seinem
erstklassigen Equipment und Knowhow ergänzt.
Slawische Schwermut
trifft auf hippe Grooves, beseelte Lyrik auf fetzige Riffs. Mancher Titel
erinnert an die Ausgelassenheit von Russendiscos, aber Texter und Sänger German
ist eher ein philosophierender Melancholiker, der Balladen liebt, sich der rockigen
Hammondorgel verweigert und die härtere Gangart seiner Kollegen mit
Streichersound besänftigt.
Drogentod In Sibirien aufgewachsen,
erzählt er von der dunklen Seite des Lebens, von Müllkippen, von Drogentod und
einem Musikerfreund, der viel zu früh aus dem Leben schied. Wahre Geschichten
sind das, deren Tragik auch spürbar wird, wenn sie, wie alle seine Songs, in der
Sprache seiner Kindheit gesungen werden.
"Als ich die
Jungs traf, wollten sie sich Sibirian Kowboys nennen, mit K!", so Derdau,
dem dieser Name überhaupt nicht gefallen hat, zumal er an die berühmten
Leningrad Cowboys denken lässt. "Wir haben nächtelang überlegt,
schließlich sind wir auf Archipel Gulag gekommen. Das Buch von Solschenizyn prangert
ja auch die düsteren Verhältnisse in den Lagern an, das passt zur Stimmung von
Sergeis Liedern."
Sergeis
Kompositionen haben Derdau sofort gefallen: "Akkordfolgen, wie es sie in
keiner anderen Musik gibt". Verglichen mit Hardrock sei der Klang sehr
balladenartig, die Struktur sehr verschachtelt.
Deutsch-russische Freundschaft
Von Leonore Welzin für "Heilbronner Stimme"
Heilbronn -
"Na sdorowje!" Was die Trinkgewohnheiten betrifft ist Sergei German
in Deutschland auf Bier umgestiegen. Denn Wodka-Konsum kann schneller ins
Jenseits führen, als dem Russen lieb ist. Warnendes Beispiel sei ein Kumpel,
der Bassist seiner Band, als er noch in Nowokusnezk musizierte.
Leberzirrhose
Den
slawisch-melodischen Song "Ona" (Sie) hat er diesem Freund gewidmet,
der 37-jährig an Leberzirrhose gestorben ist, obwohl er, wie German beteuert,
bis zu seinem 30. Lebensjahr keinen Alkohol getrunken hatte. Seit diesem Sommer
steht German (Keyboard, Gesang) nach langer Pause wieder auf der Bühne. Mit
seinen deutschen Mitstreitern Thomas Güntter (Gitarre), Peter Müller
(Schlagzeug) und Bernd Derdau (Bass) gibt German unter dem Bandnamen Archipel
Gulag im Red River erste Kostproben eigener Kompositionen. Warm spielen sich
die Musiker unter dem Motto "Wir singen russisch und spielen deutsch"
mit "Warten". Germans Texte erzählen vom Leben in der ehemaligen
Sowjetunion, von Menschen am Abgrund in "Deponie", von Drogenkonsum
in russischen Vorstädten in "Schatten", wo man den kalten Wind und
den Tod pfeifen hört. Ein kleines Bild der großen Apokalypse zeichnet
"Maulwurf", ein blindes Tier, das sich am Ende aller Tage unter der
Erde verkriecht. Prägnanter ist der "Sibirian Blues". Obwohl der
studierte Maschinenbau-Ingenieur die Bluesschemen außer Kraft setzt, zaubert er
eine bluesig schneeknirschende Melancholie.
Herrenrunde
Fahrt bekommt das
Programm mit "Barada" (Bart) einem surrealen Stück über extremen
Damen-Haarwuchs. Eine Herrenrunde, die eine Weihnachtsfeier hinter sich hat,
stürmt das Lokal und ist vom fröhlichen Up-Beat der russischen Version von
"Those Were The Days" begeistert. Sie möchten das Stück als Zugabe
nochmal hören und schwingen zu einer verrückt-verrockten "Kalinka"
Bierglas und Tanzbein. "Na sdorowje!" auf die deutsch-russische
Freundschaft.
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